Aktuelle Berichte

Degrowth-City als Werkstattprojekt?

Schreibe einen Kommentar

In der Stadt des Postwachstums gehören Gelegenheitsstrukturen für Eigenarbeit und Do It Yourself-Kulturen selbstverständlich zum Stadtbild. Offene Werkstätten für Selbstversorgung, Handwerk, Kunst, Design und kreatives Ausprobieren sind in jedem Quartier zu finden. Nachbarschaften und Interessensgemeinschaften kümmern sich selbstverwaltet um die produktiven Gemeinschaftsorte. Dort gibt es Tausch- , Leih- und Umsonstläden für Kleidung, Möbel, Bücher, Nahrung und andere Güter, gemütliche Aufenthalts-, Lern- und Coworkingmöglichkeiten ohne Konsumzwang.

Eine Vision

Überall finden sich Gemeinschaftsgärten und offene Werkstätten von Low- bis Hightech, die Menschen zur Herstellung oder Reparatur von Gegenständen des täglichen Bedarfs genauso nutzen wie als Praxislabore zur Innovationsentwicklung für zukünftige Produkte. Handwerk und digitale Fertigungstechnologien fließen zusammen. Ein dichtes soziales Netzwerk einer Stadtbewohner*innencrowd ermöglicht prosperierende Beziehungen untereinander. Unterschiedliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche tragen zu einem solidarischen Miteinander bei, statt für Konkurrenzkämpfe zu sorgen: persönlicher Freiraum, Think- und Do-Tank für Gemeinwesen, Knotenpunkt für urbane Subsistenzpraktiken statt Merkantilisierung aller Lebensbereiche. Stadtplanung und -gestaltung werden partizipativ und kollaborativ, unkompliziert, direkt und spürbar zum Nutzen aller verwirklicht. Finanzielle Haushaltsmittel –wenn nötig- aggregieren sich dort, wo sie gebraucht werden.
Urban Mining ist ein elaboriertes Konzept geworden, das über die Wiederverwendung von Baustoffen und Recycling von Glas, Papier und Kunststoffen hinausgeht. Statt in erster Linie der Sekundärrohstoffgewinnung für industrielle Produktion, haben alle Bürger*innen der Stadt Zugang zu ihren selbstverursachten Schrott-und Müll- Ressourcen. Eine Vielzahl von Menschen kümmert sich arbeitsreich um smarte Weiter-, Wieder- und Umnutzung der Artefakte und Wertstoffe. Community-Workshops sind mit Teile- und Materiallagern ausgestattet, die von örtlicher Abfallwirtschaft, von Unternehmen und Bewohner*innen der Viertel mit Brauchbarem bestückt werden. Reparieren und Hacken der dinglichen Lebenswelt ist Volkssport geworden. Quer durch alle Einkommens- und Bildungsschichten, Altersstufen und Milieus hindurch wird aktiv Hand angelegt und neu verhandelt, was Verbraucher*innen können, sollen und dürfen. Die Verlängerung der Nutzungsdauer von Gebrauchsgütern und die Neuprogrammierung dessen, was wozu verwendet werden kann und soll, gehört zum gesunden, alltagspraktisch eingebetteten Verständnis nachhaltiger Lebensweise.
Weniger Business, mehr Commoning: In den Werkstätten besteht neben der Nutzung der für Eigenbau notwendigen Maschinen, Werkzeuge und Räume immer auch die Möglichkeit, Open-Source und Open-Hardware Lösungen praktisch zu nutzen. Kreativität und sozialökonomischer Systemwandel werden gemeinschaftlich finanziert, weiterentwickelt und in Anwendung gebracht. Ein dichtes, heterogenes On- und Offline- Netz für Wissensaustausch, gegenseitige Befähigung, Beratung, Unterstützung und Inspiration mit Ideen und Konzepten ist und wird gesponnen. Der isolierte und auf individuelle Nutzenmaximierung gepolte Homo oeconomicus hat ausgedient. Homo „communicans“, der mit anderen teilende Typus von Marktteilnehmer*in, hat die Regeln des Spiels verändert und erweitert zu einem Gebilde, in dem Geld und die Ausbeutung natürlicher wie menschlicher Ressourcen immer weniger, dafür die verschiedenartigen Beiträge von Menschen und ihren Fähigkeiten immer mehr Bedeutung haben. Die Stadt als Systemzusammenhang hat den vermeintlichen Verlust von profitgetriebenen Verwertungslogiken im entstressten Gemeinwohlkosmos aufgefangen und verstanden, antisoziale und zerstörerische Strukturen zu Beziehungsnetzen von Beteiligten umzuformen.

Die Realität

Schöner wär`s, wenn`s schöner wär. Dies ist nicht die Beschreibung dessen, was ist. Grund zur Hoffnung, dass kollektive Selbstbefähigung Fuß gefasst hat, geben z.B. die schätzungsweise 200 Offenen Werkstätten in Deutschland. Über 80 davon sind im Verbund Offener Werkstätten vertreten. Eher Nischenphänomen als Mainstream. Erst langsam erscheint das, was dort passiert, auf dem Radar. Die Macher*innen und Nutzer*innen machen sichtbar, dass kollektive Möglichkeitsräume geschaffen, betrieben und erhalten werden können, auch wenn die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen wenig förderlich sind und der ökonomische Verwertungsdruck auf menschliche wie dingliche Ressourcen (z.B. was mit erworbener Bildung oder städtischen Immobilien anzufangen sei) aus multiplen Gründen hoch ist. Geschäftsmodelle zur Profitmaximierung sind diese Orte nicht. Allein wirtschaftliche Tragfähigkeit zur Sicherung der Fixkosten zu erreichen, ist oft nur mit Mühe möglich, wenn nicht der Geldbeutel darüber entscheiden soll, wer einen solchen Ort nutzen kann.

Aus der Realität in die Vision?

Was mit den Mitmach- und Selbsthilfewerkstätten, FabLabs, Maker- und Hackerspaces an Freiraum zum Selbermachen zugänglich wird, geht über materielle Experimentierfelder für Eigenarbeit und DIY-Kulturen hinaus. Womöglich scheinen in Offenen Werkstätten die Prototypen neuer Produktivarrangements auf, die insbesondere Bewohner*innen verdichteter Ballungsräume erlauben, die Gestaltungshoheit über persönliche und kollektiv geteilte Lebenswelten Stück für Stück zurück zu erlangen. Die Stadt ist mehr als ihre funktional getrennten Bereiche für Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Sie ist in sich wie eine Offene Werkstatt veränderliches, hochverdichtetes Potential, das Menschen in erfahrbare Räume und Strukturen verwandeln. Sicher nicht als Blaupause, in seiner Diversität und Energie ist das Phänomen der Offenen Werkstatt aber wie eine Parabel auf die Stadt der Zukunft zu lesen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.