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Degrowth in postsocialist Countries – Ein Workshop-Bericht aus Budapest

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Unter dem Titel „Degrowth in postsocialist Countries“ fand im Januar erneut ein 2-tägier Workshop der osteuropäischen Degrowth-Bewegung statt. 50 – 60 Wissenschaftler_innen, Aktive und Interessierte kamen nach einem Auftakt-Treffen in Llubljana Ende 2013 und Zwischenstopps in Zagreb, Sofia und Leipzig im Jahr 2014 nun in Budapest zusammen, um sich zum einen über ihre Eindrücke von der Degrowth Konferenz in Leipzig auszutauschen sowie die eigene Bewerbung Budapests als Standort für die fünfte internationale Degrowth Konferenz im Jahr 2016 in trockene Tücher zu bringen.

Schon der Tagungsort bildete einen offensichtlichen Kontrast zu den ansonsten gewohnten Workshopräumlichkeiten. Der ehemalige Prachtbau aus der Gründerzeit bot den Teilnehmenden aus Ungarn, Kroatien, Rumänien, Slowenien, Österreich und Deutschland zwar genügend Platz für Diskussionen und Planungen der Degrowth-Aktivitäten, erinnerte aber gleichzeitig durch fehlende Heizung und sanitäre Anlagen an die mögliche Nebenerscheinungen von fehlenden Investitionen und Wachstum.

Im Zentrum der Veranstaltung standen die Diksussionsrunden zu den Themen „How to explain degrowth without closing the door for discussions in post-socialist countries” und “The green/red divide in degrowth discussions in post-socialist countries”. Durch “Open Space” konnten weitere Diskussionsrunden u.a. zu den Themen Bedingungsloses Grundeinkommen und Gift Economy, Degrowth im Bildungswesen und zum sprachlichen Gebrauch des Begriffes „Degrowth“ entstehen.

Degrowth ist in (Süd-)Osteuropa umstritten

Die Verwendung des Wortes Degrowth ist umstritten unter den wachstumskritischen Aktivist_innen aus Mittel- und (Süd-)Osteuropa. Denn anders als in den westeuropäischen Staaten ist der Zweifel am Wohlstand durch Wachstum in den osteuropäischen Staaten, in denen tägliche Bedürfnisse und Konsum noch erheblich schwerer zu befriedigen sind, schwieriger zu vermitteln. In der Diskussion wird die erste Hürde für die Aktivisten deutlich. Problematisch ist für alle, dass Kritik am wachstumsorientierten kapitalistischen Wirtschaftssystem und die Suche nach Alternativen in der Region immer eng verknüpft ist mit dem Scheitern des Sozialismus und dessen Auswirkungen auf die Region.

Degrowth im Kontext einer post-neoliberalen Wende

Es ist daher bemerkenswert, dass zwar eine recht große Bereitschaft besteht, Zweifel an einer bereits vorhandenen neoliberalen Politik zu äußern und deren Überwindung zu fordern. Zugleich wird eine Kritik an der Ideologie, dass Wohlstand durch Wachstum erreicht werden könne, jedoch nur vorsichtig geäußert. Konkret benannt werden die verheerenden Auswirkungen der Privatisierungswellen und der fehlgeschlagenen Strukturpolitiken der letzten 20 Jahre. Den Wunsch nach einer Zeit für post-neoliberale Politik zu äußern scheint unproblematischer und im Gegensatz zu einer Postwachstumspolitik vermittelbar.

Unterstützt wurde die Veranstaltung am Abend durch Vorträge von Miklós Antal, Ökonom an der Autonomen Universität Barcelona, zum Thema „Physical limits of growth“ und Nicolas Sesiron von dem Committee of the Abolition of Third World Debt mit einem Vortrag über „Public debt and extractivism“

Degrowth konkret: Sozial-ökologische Projekte in Budapest

Die Diskussionsrunden des zweiten Tages wurden eingebettet in Erkundungen der kleinen Utopien und Degrowth-Projekte Budapests. Auf dem Szimpla Markt wurde bei Kaffee und einem entspannten Frühstück in dem liebevoll gestalteten Ruinengebäude einer Einführung über die lokal und selbstorganisierte Lebensmittelorganisation gelauscht. Anschließend ging es weiter zu der Projektstätte mit Fahrradselbsthilfewerksatt Cyklonomia.

Degrowth 2016 in Budapest?!

Die noch rund 20 Interessierten drängten sich durch die Kellergewölbe der Einrichtung und starteten, nach der Besichtigung von Tanz, -Theater sowie Werkstatträumen, erneut eine Debatte über den Projektantrag für die Degrowth-Konferenz im Jahr 2016. Neben konkreten inhaltlichen Vorstellungen wurden auch die Bedenken über die Durchführung einer solchen Konferenz in Budapest laut. Die Förderlandschaft von regierungsfernen Stiftungen und Vereinen in Ungarn ist bei weitem nicht so gut aufgebaut wie in den westlichen Ländern. Staatliche Förderungen gibt es kaum und ist gerade bei wachstumskritischen Projektanträgen wenig Erfolg versprechend. Eines steht daher schon vorweg fest: Die geplante Konferenz wird um einiges kleiner werden und sich an den von dem Komitee zur Vergabe der Konferenz, Research & Degrowth in Barcelona, gegebenen Hinweis „Small is beautiful“ halten.

Degrowth in Osteuropa: klein aber motiviert

Meine Teilnahme an dem Workshop war vor allem motiviert von der Möglichkeit, einen Einblick in die Organisation der osteuropäischen Degrowth-Bewegung zu erhalten und Unterschiede zur Bewegung in Deutschland zu erkennen. In beiden Regionen handelt es sich um kleine Bewegungen, die sich in der jeweiligen Größe jedoch noch erheblich unterscheiden. Wird in Deutschland und anderen europäischen Staaten das Anliegen „Degrowth“ bereits von einer großen und oftmals schon einflussreichen Minderheit gestützt, können die Aktiven in den osteuropäischen Staaten noch auf keinen großen Rückhalt bauen. Allein schon an der sprachlichen Begrifflichkeit „Degrowth“ muss sich hier kräftezehrend abgearbeitet werden. Zu sehr ist dieser verknüpft mit einem Systemwechsel, welcher wiederum an den letzten Systemwechsel erinnert, der bei den meisten den Verlust des Arbeitsplatzes und Wohlstandseinbußen brachte. Nach meinem Eindruck ist der Grundstein für eine aktive wachstumskritische Gruppe jedoch gelegt und fachlich mit den eingebunden Wissenschaftler_innen in Budapest und Instituten in Zagreb gut aufgestellt, um auch bei gegensätzlichen politischen Bedingungen in diesen Ländern bestehen zu bleiben.

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