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Eine patriarchale Kontrarevolution? – Fragen an eine zukünftige Postwachstumsglobalgesellschaft: Ein Konferenzbericht zu Descrescita 2012 in Venedig.

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Mein Resümee der dritten Internationalen Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in Venedig blieb gespalten: Möchten wir das kritische Potenzial von Postwachstum für gesellschaftlichen Wandel retten, so muss sich diese Denkform als Projekt der Linken positionieren und vom Konservatismus einer Ökobewegung abgrenzen – die das Lokale in Ignoranz ihrer transnationalen Verflechtungen preist und die Traditionen wiederzubeleben versucht, selbst wenn diese patriarchal und exkludierend sind. Ohne eine solche Positionierung bleibt Postwachstum ein blankes Label, unter dem sich zu viel vereinigt, was sich politisch als höchst diskussionswürdig erweist.

Beginnen wir mit einem Lob: Wie nur in seltenen Fällen traf bei dieser Konferenz die Form den Inhalt, das im Zeichen des Postwachsums TeilnehmerInnen der sozialen Bewegungen und der Wissenschaften für eine fünftätige Zusammenkunft vereinte: Die Teilnehmerzahl wurde in einer Weise beschränkt, das Venedig nicht noch weiter von Besuchern überfüllt werde, Müll durch selbstgebrachtes Geschirr reduziert, keine großen Sponsoren zugelassen, die das Gelände mit Werbemitteln plakatiert hätten, und Anreize gesetzt, auf das Flugzeug zu verzichten und langsame, kollektive Fortbewegungsmittel zu nutzen (17 % der TeilnehmerInnen aus 42 Ländern griffen allein auf das Flugzeug als Reisemittel zurück). Des Weiteren wurde lokales vegetarisches Mittagessen angeboten, welches die TeilnehmerInnen auch jenseits der Workshops vereinte. So werden die hohen Teilnahmegebühren und die Beschränkung auf 600 Personen neue diskussionswürdige Exklusionslinien gezogen haben, welche das Organisationskommittee jedoch durch diese Maximen als gerechtfertigt betrachtete.

Doch kam es zum Glück, neben der üblichen emphatischen Beweihreucherungen der Bewegung selbst, zu einigen hitzigen Debatten, die es sich lohnt, fortgeführt und reflektiert zu werden. Den Startschuss gab Antonella Picchio, Professorin für Wirtschaftsgeschichte, die Serge Latouche und einige Apologeten des „Ent“wachstums beschuldigte, eine Technikkritik zu formulieren, die 40 Jahre des Feminismus den Rücken kehrte und als gesellschaftlich konservativ zu bewerten sei. Wer werde demnächst wieder die dreckigen Unterhosen dieser altehrwürdigen Herren waschen, wenn wir Waschmaschinen abschaffen und die Subsistenzwirtschaft propagieren? Die informalisierte alttägliche Arbeit von Frauen sei der Skandal, der im Lichte der aktuellen Krise debattiert werde, sowie die alltägliche physische Gewalt, die durch den Druck auf die kleine Mittelschicht mitten in Europa erneut aufkeime. Der von Latouche scherzhaft geforderte Verzicht auf die Waschmaschine ginge in der jetzigen Welt letztlich zu Lasten der Frauen und sei ein androgyner Vorstoß in die falsche Richtung. Ähnlich drastisch formulierte dieses Anliegen die Ökofeministin Alicia Puleo: Sie beobachte auf der Konferenz eine patriarchale Kontrarevolution im Kleide des Ökosozialismus. Es bedürfe vorerst der Ausdehnung und Vertiefung der sozialen Rechte auf Bildung, angemessene Arbeitsbedingungen und Gesundheitsvorsorge, bevor wir über die Hinfälligkeit von Diplomen und Universitätsabschlüssen lamentierten, welche der Szientismus westlicher Wissenschaften hervorbrächten. Wessen Ideal der Freiheit würde im Postwachstum vertreten und in wessen Namen? Dagegen sollten wir die Produktionsformen in ihrer Dialektik von Makro- und Mikrokosmos wieder ins Zentrum der Analyse rücken, statt sich mit dezidiert auf die Reproduktionsarbeit zentrierten Technikfragen der Waschmaschine aufzuhalten. Diese Beobachtung führt zu einer weiteren kontroversen Debatte: Die Frage nach der transnationalen Ausrichtung dieser Bewegung.

Der Befreiungstheologe Marcello Barros beschrieb in seiner Keynote eindringlich das Verwundern von Menschen einer Favela in Brasilien, als er Ihnen von seinem angekündigten Besuch der Konferenz in Venedig erzählte: „Wie kannst du Ent-Wachstum (engl. Degrowth) predigen, wenn wir doch gar nichts haben? Wir können nicht schrumpfen; denn es gibt nichts, worauf wir auch noch verzichten können.“ Ähnliche Skepsis brachte eine Workshopteilnehmerin aus der Ukraine zur Thematik des indigenen postentwicklungstheoretischen Prinzips des „Buen Vivir“ hervor: Stellen sich die hier aufgeworfenen Fragen nicht anders für Osteuropa, wo ein mitteleuropäischer Lebensstandard noch eine weit entfernte Wirklichkeit für die Massen ist? Ist Postwachstum ein Projekt einer wohlhabenden westeuropäischen Intelligenzija oder hat es gerade und insbesondere Relevanz für die neuen Transformationsländer?

In Anspielung auf diese Debatte berichtete der Architekt und Urban Planer Darko Radovic in seinem Beitrag von seinen Erfahrungen beim letzten Besuch in einer Industriestadt in England, in der er ein Seminar unterrichtete: Der Hunger sei dort heute größer als zu Beginn der Industrialisierung. Die soziale Desintegration und die alltägliche Gewalt machten das Projekt der sozialen Transformation zu einem schwierigen Unterfangen. Es bedürfe zu allererst eines „radikalen Realismus“ um sozial fruchtbare und nachhaltige Fortschrittsideen zu entwickeln.  Das Plädoyer zur Rückkehr zur Subsistenzwirtschaft, eine pauschalisierte Ablehnung von Globalisierung ohne Differenzierung zwischen konstruktiver Verflechtung, die Frieden schafft, und imperialer Dominanz; und nicht zuletzt die Glorifizierung der Subsistenzwirtschaft, die jegliche technische Erneuerungen aus reinem Konservatismus ablehne und zu Lasten der Frauen geht, helfe einer Unterschicht inmitten Europas in Zeiten der Krise wenig.

Eine Analyse der kritischen Konfrontation mit den Widersprüchen unserer Zeit bot der Bolivianer Gustavo Soto, der auf die Schwierigkeiten bei der Implementierung des Prinzip des „Buen Vivir“ in Bolivien hinwies und von den Konflikten und Inkongruenzen, die dabei – innerhalb der indigenen Bewegung und in kritischer Distanz zur Regierung Morales’  – aufträten.  Konstruktive Anstöße für eine empirisch fundierte Postwachstumsforschung wurden zudem Giorgos Kallis von der Autonomen Universität Barcelona formuliert: Es gelte, konkrete ökonomische Sozialmodelle zu erkunden, die jenseits des Wachstum eine funktionsfähige und lebenswerte Gesellschaft ermöglichen. Eine solche solche Forschung kann zukunftsorientiert, progressiv und ökologisch gleichermaßen ausgerichtet sein, ohne sich in die Romantizismus einer vermutlich nie dagewesenen egalitären Agrargemeinschaft zu flüchten und die sozialen Fragen unserer Zeit utopistisch einfach auszuklammern.

2 Kommentare

  1. Daniel Constein sagt am 16. Oktober 2012

    „Entgegen den im Beitrag erwähnten AktivistInnen würde ich die beschriebenen feministischen Kontroversen zu Latouches Ökoromantik nicht so hoch hängen. Natürlich ist die Kritik an heutigen patriarchalen und imperialen Strukturen gerechtfertigt. Aber der Bewegung des langsamer und subsistenter Wirtschaftens vorzuwerfen, sie wäre diesbezüglich blind – das klingt doch allzu sehr nach typisch linker Streiterei um den „richtigen“ Startpunkt von Gesellschaftskritik. Ich kann aus Latouches Ausführungen beim besten Willen nicht rauslesen, dass seine Entschleunigung auch gleichzeitig die Rückkehr in überkommende Sozialstrukturen im Sinn hat oder diese auch nur fördert.

    Ich wage mal die These, dass die gemeinsame Perspektive der Postwachstums-Bewegung erst dann sichtbar wird, wenn alle Beteiligten ihre Scheuklappen ablegen und anerkennen, dass andere Zugänge zu Systemkritik nicht gleichbedeutend mit der Ablehnung des jeweils eigenen Zugangs sind.“

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