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Enquete-Bericht zur Entkopplung – Teil 1: Was steht in den Zeilen?

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Am Montag (25.9.2012) hat die Projektgruppe 3 „Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischer Fortschritt – Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung“ den Hauptteil ihres inhaltlichen Beitrags zum Endbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ vorgelegt. Er wurde von der Projektgruppe im fraktionsübergreifenden Konsens erarbeitet, was beachtlich ist. In diesem Artikel soll ein erster Überblick über die Inhalte des Berichts gegeben werden. Teil 2 dieser Artikel-Reihe folgt in wenigen Tagen und geht detaillierter auf die Debatte zum Bericht im Plenum der Enquete sowie auf sein Medienecho ein. Teil 3 versucht „zwischen den Zeilen“ zu lesen und analysiert, was die Projektgruppe aus politischen Gründen (noch) nicht explizit macht, jedoch im Bericht mitschwingt oder geschlussfolgert werden kann.

Der Bericht der Projektgruppe 3 ist Basis des Endberichts der Enquete-Kommission im Themenbereich Entkopplung, wobei dieser in seiner endgültigen Form erst im Frühjahr 2013 verabschiedet werden wird. Der Bericht der Projektgruppe 3 gliedert sich in sechs Kapitel, die sich primär der Analyse der Herausforderungen und den abgeleiteten Handlungsoptionen widmen. Ein zusätzliches siebtes Kapitel steht noch aus und folgt im November 2012. Erst dort werden konkrete politische Handlungsempfehlungen formuliert.

Das Wort „Entkopplung“ wird von der Enquete (vor allem) im Sinne von Entkopplung von BIP-Wachstum und Umweltverbrauch verwendet. Wenn die Wirtschaft weiter wachsen soll, die Umweltbelastung jedoch sinken muss, dann ist eine solche Entkopplung zwingend nötig. Aufgabe der Projektgruppe war es zu untersuchen, ob, und wenn ja, wie genau eine solche Entkopplung zu bewerkstelligen ist.

Das erste Kapitel des Berichtes der Projektgruppe 3 führt in viele der Themenbereiche ein, die später im Detail besprochen werden: Grenzen der Umweltnutzung, das Konzept des Umweltraums, die Überlastung von Ressourcen und Senken. Ebenso werden die Nachhaltigkeitsdebatte sowie einige Schlüsselkonzepte wie der ökologische Fußabdruck oder die übernutzten Erd-System Prozesse nach Rockström et al. dargestellt. Zudem wird eine große Offenheit gegenüber unterschiedlichen Herangehensweisen an Grenzen der Umweltnutzung deutlich. Verschiedene wissenschaftliche Zugänge werden exemplarisch dargestellt; unter ihnen die Wachstumstheorie, die Umweltökonomie, die ökologische Ökonomie sowie die politische Ökologie.

Kapitel 2 bietet nach der präzisen Kürze des ersten Kapitels eine ernüchternde Darstellung der „Ausgangslage an der Schnittstelle Umwelt – menschliche Wirtschaft“. Dafür werden zunächst die globalen Megatrends wie etwa die Globalisierung und die Ausbreitung “westlicher” Konsummuster im Rest der Welt beschrieben. Von diesen wirken die meisten einer Entkopplung entgegen. Im Anschluss folgt eine umfängliche Präsentation der Umweltbereiche, ihrer ökologischen Zustände und den sich abzeichnenden Trends. Die allgemeine Lage ist nicht erfreulich: vom Klimasystem über die Landnutzung bis hin zur Biodiversität zeichnen sich ernste Schwierigkeiten ab. Zuletzt wird ein Überblick über unterschiedliche Ressourcen gegeben. Dabei wird deutlich, dass die rein physikalische Verfügbarkeit von fossilen Energieträgern, Mineralien und Erzen vielfach unproblematischer ist, als die sozialen und ökologischen Folgen ihrer Förderung und Nutzung.

Kapitel 3 skizziert die Grenzen der Umweltnutzung und ist trotz seiner Kürze zentral für den ganzen Bericht, der immer wieder auf dieses Thema verweist. Der Bericht weist auf die Schwierigkeiten der Bestimmung der Grenzen hin und betont, dass dafür gesellschaftliche Aushandlungsprozesse nötig sind. Das Kapitel versucht trotzdem, konkrete Grenzen zu benennen, vom international anerkannten „2-Grad-Ziel“ der Klimaerwärmung bis zur Beschränkung des Verlustes an Artenvielfalt auf das 10 fache der historischen Rate. Wie eine Orientierung an solchen Grenzen genau aussehen soll, muss wohl das noch ausstehende Kapitel 7 klären.

Während sich der Rest des Berichts hauptsächlich mit globalen Problemen beschäftigt, wendet sich Kapitel 4 der nationalen Ebene zu. Analog zu den vorigen Kapiteln werden Umweltprobleme auf nationaler oder sogar regionaler Ebene beschrieben. Der Kern der Entkopplungsfrage wird in einem Unterkapitel zu internationalen Verschiebungen spannend diskutiert. Es zeigt sich, dass manche der oft zitierten Erfolgsmeldungen in der Entkopplungsfrage allein auf Verschiebungen der Problematik in andere Länder beruhen. Kapitel 4 beleuchtet auch soziale Fragen. So werden die Auswirkungen eines ökologischen Umbaus auf einkommensschwache Bürger_innen differenziert analysiert. Höhere Kosten für Energie treffen Haushalte mit niedrigem Einkommen überproportional stark, gleichzeitig wird von einer positiven Beschäftigungswirkung des Ausbaus der erneuerbaren Energien ausgegangen.

Nachdem die Brisanz der ökologischen Krise mehr als deutlich wurde, macht erst Kapitel 5 die Lesenden ausführlich mit dem Entkopplungsbegriff bekannt. Nicht nur Wachstum und Umweltverbrauch sollen entkoppelt werden, sondern es geht darum, Wohlstand oder Lebensqualität als wichtigste Ziele vom Umweltverbrauch unabhängiger zu machen. Es handelt sich zudem nicht um die relative Entkopplung, sondern um eine absolute Reduktion der Umweltbelastung. Gleichwohl wird dieser wichtigen politischen Anerkennung wissenschaftlicher Fakten Ernüchterndes hinterher geschickt: Einer Entkopplung stünden viele Herausforderungen entgegen, vom Effizienzgewinne auffressenden Rebound-Effekt bis hin zu psychologisch und kulturell verankerten Verbrauchsmustern. Die Liste ist lang, und wird noch ergänzt durch “Leitplanken” der Entkopplung und durch soziale und ökonomische Ziele, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Das Kapitel schließt mit einigen historischen Beispielen für Entkopplung, die sich jedoch in wichtigen Punkten von den heutigen Herausforderungen unterscheiden.

Das bislang letzte Kapitel 6 soll Handlungsspielräume aufzeigen. Verschiedene Szenarien und andere in der Wissenschaft diskutierte Lösungsvorschläge zeigen, dass Entkopplung in manchen Bereichen denkbar ist, inklusive der konkreten Benennung von Technologien und politischen Vorgaben. Bei den verschiedenen Akteuren wie Arbeitnehmenden, Unternehmen oder der Zivilgesellschaft finden die Lesenden eher eine Sammlung von Ideen und Konzepten. Wie weit diese angesichts der Größe des Problems reichen, bleibt unklar. Die Möglichkeiten des Nationalstaats werden unter Berufung auf die Allmendeproblematik als vielfach eingeschränkt beschrieben, da andere Staaten kaum ein Eigeninteresse an Kooperationen hätten.

Hat die Enquete-Kommission damit die zentrale Frage nach der Möglichkeit von Entkopplung beantwortet? Jein. Sie hat Entkopplung zwar als prinzipiell machbar dargestellt. Wie diese jedoch angesichts der zahlreichen Herausforderungen praktisch anzugehen ist: dafür bleibt der Bericht bisher Antworten schuldig. Hier muss man wohl zwischen den Zeilen lesen (siehe Teil 3 dieser Artikel-Reihe) oder auf Kapitel 7 hoffen.

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