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Kommentar zu Ulrich Schachtschneider, Mit mehr Gleichheit und Freiheit zur Postwachstumsgesellschaft

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Das Hauptproblem mit Ulrich Schachtschneiders Text ist, dass er von einer völlig unzureichenden und falschen Analyse der bestehenden Wirtschaftsgesellschaften ausgeht. Konkret: Kapitalismus, die real existierende auf Privateigentum und Profitsteuerung beruhende Wirtschaftsgesellschaft, ist ein Herrschaftssystem, das Wachstumszwänge hervorbringt sowie tendenziell zunehmende Ungleichheit und statusorientierte Lebensstile. Kapitalismus, kapitalistische Eigentums-, Produktions- und Klassenverhältnisse als die eigentlichen Ursachen dieser Problemlagen werden von Schachtschneider jedoch sowohl analytisch als auch bei seinen Alternativvorstellungen völlig ignoriert. Ökonomische Zusammenhänge scheinen ihn wenig zu interessieren.

Ökologisches Grundeinkommen wirkt als massive sozialstaatliche Umverteilung

Nun ist es durchaus möglich, in gewissen Grenzen auch Kapitalismus gesellschaftlich und sozialstaatlich zu regulieren und Veränderungen durchzusetzen. Schachtschneiders erster Satz ist deshalb falsch, es kann ökonomisches Wachstum auch bei abnehmender Ungleichheit geben, so wie das etwa in den 1950er bis 1970er Jahren der Fall gewesen ist. Erforderlich dafür sind starke Gewerkschaften und soziale politische Kräfte, die eine steigende Lohnquote und Ausweitung sozialstaatlicher Umverteilung durchsetzen.

Ohne es zu sagen, vielleicht ist es ihm auch selbst gar nicht klar, fordert Schachtschneider selbst eine massiv ausgeweitete sozialstaatliche Umverteilung, denn nichts anderes wäre ein ökologisches Grundeinkommen. Nur der Staat könnte die zur Finanzierung nötigen Abgaben erheben und es auszahlen. Und ganz entscheidend: Es handelte sich dabei um eine Umverteilung von Einkommen, die im Ursprung durch Erwerbsarbeit in der kapitalistischen Marktökonomie produziert worden sind.

Auch wenn der Umverteilungsmechanismus am Umweltverbrauch ansetzte, wäre es eine Umverteilung von Einkommen. Die Preiswirkungen der Abgaben minderten die Kaufkraft der Primäreinkommen. Die Auszahlung eines für alle gleichen Öko-Bonus hätte sicherlich als solche egalisierende Wirkung. Wie bei anderen Varianten eines Grundeinkommens für alle müssten aber große Teile des gesamten Volkseinkommens auf diese Weise umverteilt werden, um eine relevante Höhe zu erzielen. Die Abgaben und damit die Belastung der Primäreinkommen bzw. ihrer Kaufkraft – also der Gewinne und Vermögenseinkommen einerseits, der Löhne andererseits – müssten also extrem hoch sein.

Grundeinkommen ist im Kapitalismus nicht realisierbar

Zugleich soll die kapitalistische Grundstruktur und Markt- und Profitsteuerung der Produktion anscheinend nicht angetastet werden. Jedenfalls ist davon bei Schachtschneider nirgends die Rede. Damit würden die Kapitaleigentümer sich auch weiterhin einen großen Teil des Gesamteinkommens aneignen können und bliebe der Kampf um die Löhne die primäre Verteilungsauseinandersetzung. Von der Finanzierungsseite her wäre die soziale Umverteilungswirkung wesentlich schwächer als bei progressiven einkommen- und vermögenbezogenen Steuern, deren Steuersätze mit der Höhe der Einkommen und Vermögen je Person steigen. Im Gesamtergebnis dürften die Verteilungsverhältnisse nach Umverteilung noch ungleicher sein als heute. Davon abgesehen, dass das alles aufgrund der dadurch bewirkten starken Veränderung der Preisrelationen nur in einer geschlossenen Ökonomie funktionieren könnte. Also in der kapitalistischen Weltwirtschaft überhaupt nicht oder nur mit hohen ökologisch differenzierten Zollschranken und einer finanziellen Kompensation der Wirkungen der Abgaben für die Exportwirtschaft.

Aber auch davon abgesehen könnte der eigentliche Clou des Modells nicht funktionieren. Dieser besteht ja in der Vorstellung, ein ökologisches Grundeinkommen könne die Grundlage sein, aus der Erwerbsarbeit zunehmend auszusteigen und damit sozusagen ganz harmonisch in eine „Postwachstumsgesellschaft“ überzugehen. Doch wie gesagt, Grundeinkommen resultieren immer und vollständig aus Umverteilung von durch Erwerbsarbeit erzeugten Primäreinkommen. Je mehr die Erwerbsarbeit reduziert würde, desto geringer würde auch die Produktion von kaufbaren Waren und Dienstleistungen einerseits, daraus entstehenden Primäreinkommen andererseits werden. Damit würde auch die Finanzierungsgrundlage des Grundeinkommens reduziert, dieses müsste gesenkt werden. Schrumpfende Wirtschaft bedeutet schrumpfende Einkommen und damit letztlich auch sinkende Grundeinkommen (egal ob ökologische oder andere). Kann sein, dass das im Sinne einer Perspektive des Schrumpfens gewünscht ist, jedenfalls muss es klar sein.

Wenn aber dabei die kapitalistische Grundstruktur weiter bestünde, träten alle die Krisenphänomene und verschärften Konflikte auf, die damit unter kapitalistischen Bedingungen eben verbunden sind: Pleiten und vermehrte erzwungene Erwerbsarbeitslosigkeit, Entwertung von Vermögen, auch von Sparvermögen der Bevölkerung, verschärfte Konkurrenz und Verteilungskonflikte und politische Aggressivität des Kapitals. Dieses würde sich gegen die hohe Umverteilung und Grundeinkommen richten und auf eine Stärkung der Profite und Wachstumsprozesse drängen und dazu seine Machtmittel einsetzen, im Kern die Verfügung über die Masse der Produktionsanlagen, Arbeitsplätze und Vermögen und über die Investitionen – wie gehabt. Wie auch diese kapitalistischen Kräfte von vornherein die Etablierung eines solchen Systems verhindern würden, selbst wenn es bei großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stieße.

Gesellschaftlicher Wandel braucht einen alternativen Block sozialer Kräfte

Wir sind damit zurück beim realen Ausgangspunkt: der bestehenden kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft mit ihren Eigentums-, Produktions- und Konsum-, Interessen-, Klassen-, Verteilungs-, Macht- und Bewusstseinsstrukturen. Diese müssen verändert werden, um eine andere ökologisch und sozial nachhaltige, solidarische und demokratische Entwicklung und Gesellschaft, letztlich im Weltmaßstab durchzusetzen. Wie kann das gelingen, zumal die Kräfte für diese Umgestaltung ebenfalls in dieser real bestehenden Gesellschaft und Welt gefunden und gebildet werden müssen?

Wir sind also bei der Frage nach der möglichen Strategie und Politik sozialistischer und ökologischer Umgestaltung, zunächst als Reformalternative ausgehend vom Bestehenden, und mit der Perspektive der Überwindung des Kapitalismus. Dazu braucht es einen gesamtpolitischen Ansatz und in dessen Kern die Formierung und Organisierung eines potenziell durchsetzungsfähigen alternativen Blocks sozialer Kräfte. Im Zentrum eines solchen Bündnisblocks müssen Organisationen und Milieus der arbeitenden Klassen im weiten Sinne stehen, die die Mehrheit der Bevölkerung bilden und die primären Einkommen produzieren. Ohne oder gegen sie kann es nicht gehen. Von ihren Interessen muss ausgegangen und eine Entwicklung eingeleitet werden, die in diese alternative Richtung führt.

In der Sache muss es um die zielgerichtete Umgestaltung der gesellschaftlichen Produktions- und Arbeitsverhältnisse im Gesamtzusammenhang mit den Konsum- und Lebensverhältnissen gehen. Nur in diesem Gesamtzusammenhang kann es gelingen. Die Vorstellung, mit irgendwie gearteten Utopien eines Grundeinkommens das ganz elegant und einfach lösen zu können, ohne sich den eigentlichen politischen und ökonomischen Kernaufgaben zu stellen, anscheinend ohne sich über diese klar zu sein, das sind bestenfalls nette Gedankenspiele, die aber nicht helfen. Schlimmerenfalls lenken sie ab und hindern bei den Aufgaben, die angefasst werden müssten, um wirklich etwas zu ändern.

2 Kommentare

  1. […] die Arbeit an sich selbst (Muße, Bildung) Basis der Erwerbs-/Lohnarbeit (und nicht umgekehrt wie Ralf Krämer meint). Ohne diese primären Arbeits-/Tätigkeitsformen wäre die Erwerbsarbeit/Lohnarbeit nämlich […]

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