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Kosmologisches Wachstum?

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Der US-amerikanische Hochschullehrer Tom Murphy betreibt seit einem guten Jahr den lesenswerten Blog „Do the Math“, der gesellschaftliche Angelegenheiten aus der Sicht eines Astrophysikers beschreibt – und dabei die langfristige Zukunft wirtschaftlichen Wachstums anzweifelt.

Energiebedarf der USA: (klicken)

© Tom Murphy

Im Post Galactic-Scale Energy legt er dar, wie schnell die menschliche Energienutzung kosmologische Dimensionen annehmen könnte. Hierfür betrachtet er die Zeitentwicklung des jährlichen Energiebedarfs der Vereinigten Staaten seit 1650 und nähert sie mit einer Exponentialfunktion an. Deren bisherige Wachstumsrate bestimmt er auf 2,3 %, was einer Verzehnfachung in 100 Jahren entspricht. Er setzt diese Entwicklung hypothetisch fort und zeigt, dass dann in 400 Jahren die gesamte irdische Sonneneinstrahlung für menschliche Aktivitäten benötigt würde. Etwa 1000 Jahre später schon müssten wir die gesamte ins Weltall gestrahlte Leistung der Sonne nutzen und bereits in 2500 Jahren würden sämtliche Sterne unserer Galaxie nur noch für wirtschaftliche Aktivitäten der Menschheit leuchten – die zu erwartenden Probleme für den Netzausbau mal vernachlässigt.

Erdtemperatur (klicken)

© Tom Murphy

Auf der Erde würde das zu unerwarteten Effekten führen: Unter der angenommenen Steigerungsrate von 2,3 % wäre es auf der Erdoberfläche in 450 Jahren kuschlige 100°C warm, Kleinigkeiten wie steigende Treibhausgaskonzentrationen völlig vernachlässigt. Dies folgert er aus dem Stefan-Boltzmann-Gesetz, das den Strahlungshaushalt der Erde beschreibt. Dies ist übrigens völlig unabhängig von der genutzten Technologie, da jeglicher Energieumsatz wegen der Irreversibilität der meisten thermodynamischen Prozesse letztlich als Wärme endet. Der Hitzetod der Erde stünde dann nicht erst bevor, wenn sich die Sonne zum roten Riesen aufbläht und wir ohnehin zu den Sternen aufbrechen müssen. Die Argumentation zeigt, wie schnell man bei exponentiellem Wachstum zu kosmologischen Dimensionen und geradezu grotesken Absurditäten kommt. Und ob diese Energienutzung unbegrenzt wachsen könnte, darüber war sich ja selbst Einstein nicht sicher.

Auf diesen Erkenntnissen aufbauend fragt Murphy anschließend, ob eine Entkopplung des Wirtschaftswachstum vom Energiedurchsatz möglich ist: Can economic growth last? Als erste Möglichkeit betrachtet er mögliche Effizienzfortschritte und konstatiert, dass in den meisten Technologien prinzipiell nur noch ein Faktor zwei oder drei werden kann, bevor man an fundamentelle physikalische Beschränkungen stößt. Beispielhaft kann dies an Computerberechnungen gezeigt werden. Dadurch gerät die zweifellos sinnvolle Effizienzrevolution zwangsläufig binnen Jahrzehnten ins Stocken. Alternativ benennt Murphy die Option, neben den notwendigerweise energieumsetzenden Bereichen wie Landwirtschaft und Transport das Wachstum in einem Wirtschaftszweig zu generieren, der vollständig ohne Energieinput auskommen müsste. Binnen Jahrzehnten müsste dieser jedoch große Anteile des BIPs erwirtschaften, in seiner als Beispiel angeführten Kalkulation im Jahr 2100 bereits 98%. Beispiele für diesen Wirtschaftszweig bleibt er aber schuldig – und da bereits im für BIP-relevante Umsätze zweifelsfrei notwendigen Zahlungsverkehr Energieumsatz benötigt wird, ist dies auch als rein hypothetische Idee zu bewerten.

Logistische Wachstumsprognose (klicken)

© Tom Murphy

So verlässt Murphy das „sichere Eis der Physik“ und erklärt, dass die Netto-Wachstumsraten zwangsläufig mittelfristig gegen Null sinken müssen, was ja auch empirisch erkennbar ist. Auf der Suche nach realistischeren Wachstumsszenarien als der Exponentialfunktion fragt er: Does the logistic shoe fit? Für den Energiebedarf setzt er logistisches Wachstum an, das aus der Populationsdynamik bekannt ist, und nach einem exponentiellen Verlauf einen linearen Übergang zu einer Sättigung zeigt, womit die Wachstumsraten auf Null fallen. Aus den angegebenen Daten wagt Murphy allerdings aus Prinzip keine Zukunftsprognosen, was ihn wohltuend von den jenen unbeirrbaren Propheten unterscheidet, die bereits festgestellt haben, dass Wachstumsprognosen über 12 Monate hinaus nicht besser sind als fundiertes Raten.

Die Argumentationskette des Astrophysikers mag nicht mehr wasserdicht sein, sobald er sich von der Physik zur Ökonomie hinwendet. Allerdings zeigt sich exemplarisch das Potential physikalischer Herleitungen zur Kritik ökonomischer Postulate, was auch Nicholas Georgescu-Roegen schon in den 1970ern erkannte. Denn so lässt sich zeigen, dass manche selbstkonsistente ökonomische Modelle vielfach falsifizierten physikalischen Grundgesetzen widersprechen. Auf dem Weg zu nützlicheren ökonomischen Modellen können Physiker ihre Erkenntnisse einbringen, die sie bereits mit der Simulation von Finanzblasen und –krisen, Spaziergängern oder unserer kognitiven Überforderung gesammelt haben. Das Feld der Ökonophysik, zu dem auch ein Fachverband der Deutschen Physikalischen Gesellschaft existiert, ist jedoch in der Ökonomik bisher wenig rezipiert. Ein amüsantes Beispiel für ein mögliches Gespräch zwischen Physiker und Ökonom hat Murphy jedenfalls schonmal vorgezeichnet.


Textlizenz: CC-BY-SA, Oliver Richters
Bilder © Tom Murphy, mit freundlicher Genehmigung

Oliver Richters, studierter Physiker, ist Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Von 2012–16 war er Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie. Er ist aktiv in den Netzwerken Plurale Ökonomik und Wachstumswende sowie in der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld.

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