Standpunkte

Neuer Wohlstand auf einem begrenzten Planeten

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Vom 20.-22. Juni 2012 – 20 Jahre nach dem ersten „Erdgipfel“ – trafen die Regierungen sowie Vertreter der Zivilgesellschaft erneut in Rio de Janeiro zusammen, um über eine nachhaltige Weltentwicklung zu beraten. Als Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen gehe ich davon aus, dass für eine global verträgliche Lebens- und Wirtschaftsweise einzelne Reparaturmaßnahmen nicht reichen, sondern ein tiefgreifender kultureller Wandel nötig sein wird.

Ambivalenz unseres Wohlstands

Unser Wohlstand hat uns viele Annehmlichkeiten be­schert. Die Zeiten der Knappheit sind überwunden. Wir können uns vieles leisten was für unsere Vorfahren noch unvorstellbar war. Zu­gleich hat der materielle Wohlstand einen Ausbau der Sozialsysteme ermöglicht und wesentlich zur Stabilisierung der Demokratie beige­tragen. Doch dieser Wohlstand hat drei große Mängel:

Die meisten Menschen sind noch immer von ihm ausgeschlossen. Reichtum wird angehäuft bei den Habenden statt Mittel dort verfügbar zu machen, wo sie wirklich gebraucht werden.

Er basiert zweitens auf einer irreversiblen Ausbeutung der Natur. Unsere Art des Wirtschaftens ist daher maßlos und nicht nachhaltig – inklusive des fossilen, nicht auf Dauer angelegten Energiesystems.

Der Wohlstand erzeugt drittens auch bei denen, die er einschließt, permanent Stress. Wir arbeiten immer mehr, der Leistungsdruck steigt. Stressbedingte Krankheiten nehmen zu. Zufriedenheit mag sich auch in den reichen Ländern nicht so recht einstellen.

Als viertes kommt nun hinzu, dass der Kapitalismus offensichtlich nur mehr funktioniert mit exorbitanter öffentlicher Verschuldung – nach dem Motto „Privatisierung der Gewinne – Sozialisierung der Folgen“.

Kluft zwischen Reden und Handeln

Es wird zwar viel über Nachhaltigkeit und Klimaschutz gesprochen, aber bisher wenig umgesetzt. Bewegungen wie Biologischer Landbau, Fairer Handel oder Sanfte Mobilität haben einiges zum Bewusstseinswandel beigetragen, doch handelt es sich dabei immer noch um Nischen. Drei Fallen machen aus meiner Sicht Veränderungen so schwer: Die „Ideologie der Knappheit“ suggeriert, dass wir immer noch zu wenig hätten. Die „Ideologie des Wachstums“ geht davon aus, dass Wohlstand nur durch weiteres Wirtschaftswachstum erhalten werden kann. Die „Ideologie des Konsums“ schließlich unterstellt, dass unsere materiellen Bedürfnisse unbegrenzt seien. Alle drei Glaubensätze treffen jedoch für hochproduktive Wirtschaften nicht mehr zu.

Weltsozialpolitik

Nachhaltigkeit kann nur im Zusammenwirken von Bürgern, Politik und Wirtschaft erreicht werden. Menschen, die mit weniger Umweltverbrauch auskommen, können ansteckend wirken. Wichtig ist aber auch, die Politik in die Pflicht zu nehmen. Letztlich geht es darum, Strukturen zu ändern, nicht Menschen. Das nachhaltige Verhalten muss attraktiv und bindend für alle werden. So brauchen wir eine Raumordnung der kurzen Wege, einen kostengünstigen öffentlichen Verkehr, ökologische Bauten, Steuern auf Ressourcenverbrauch sowie eine global faire Verteilung des Reichtums. Eine Weltsozialpolitik ist nur machbar über ein kollektives Teilen. Erforderlich hierfür sind Weltsteuern etwa auf CO2-Emissionen, Rüstungsgeschäfte und Finanztransaktionen, wie die Global Marshall Plan Initiative vorschlägt.

Postwachstumsgesellschaft

Gefragt sind aber auch neue Bilder von Wohlstand und von dem, was ein gutes Leben ausmacht. Politik, Wirtschaft und BürgerInnen sind angehalten, sich auf ein anderes Verständnis von Wachstum – oder sagen wir es direkt – auf eine Postwachstumsgesellschaft einzustellen. Ein weiteres Drehen an der Konsumspirale könnte zwar einer drohenden Rezession entgegenwirken, dieses wäre jedoch ökologisch problematisch und würde auch – glaubt man Ergebnissen der Zufriedenheitsforschung – nicht zu mehr Lebensqualität führen. Abgesehen von jener Gruppe der (Zu)Gering-Verdienenden, die in der Tat das Recht auf höhere Einkommen haben, sind nicht mehr Geld und Güter knapp. Die neuen Knappheiten lauten Zeit und Aufmerksamkeit. Menschen sind nicht primär Konsumenten, sondern soziale Wesen. Und Sozialkontakte brauchen Zeit.

Drei Zukunftsprinzipien

Ein neuer Wohlstand für alle auf einem begrenzten Planeten erfordert einen tiefgreifenden Wandel auch in kultureller Hinsicht. Wir brauchen eine „Kultur der Inklusion, die niemanden ausschließt. Das ist aus ethi­schen Gesichtspunkten geboten, letztlich aber auch volks­wirtschaftlich klüger, da in einer Gesellschaft, in der alle ihren Platz haben, Sozialkosten spart. Wir brauchen zweitens eine neue „Kultur der Verortung“, die dem permanenten Unterwegssein sowie der fortwährenden Ausweitung der Aktionsradien die Fähig­keit des Verweilen-Könnens so­wie eine Raumordnung der kurzen Wege entgegenstellt. Angesagt ist eine neue Sesshaftigkeit. Das nahende Ende des fossilen Zeitalters legt diese ebenso nahe wie der um sich greifende Stress der modernen Großstadtnomaden. Und wir brauchen schließlich eine „Kultur des Genug“, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse wieder ins Zentrum rückt und den Men­schen als ganzheitliches, auf soziales Miteinander ange­wiesenes Wesen begreift.

Erkennen des „Genug“

Wachsen sollen nicht mehr die Güterströme, sondern frei verfügbare Zeit sowie Tätigkeiten, die Sinn geben. Wir brauchen nicht noch mehr Unterhaltungsangebote, sondern Freiräume für Muße und gastliche Orte, die Gemeinschaft entstehen lassen. Wir brauchen auch nicht noch mehr Sensationsjournalismus, der das Bedürfnis nach kurzfristiger Erregung befriedigt, sondern Wissen, das klug macht und zum gemeinsamen Handeln führt. Es geht um Konzentration, nicht um Zerstreuung und Ablenkung.

Lebensstile moderner Genügsamkeit

Lebensstile moderner Genügsamkeit bedeuten nun kein Zurück in die Steinzeit, auch wenn Forschungen zur „Stone Age-Economy“ gezeigt hätten, dass die Menschen im Steinzeitalter wahrscheinlich weniger gearbeitet haben als wir heute. Lebensstile moderner Genügsamkeit zielen auf das rechte Maß, auf das Erkennen des Genug. So geht es nicht nur darum, dass (ökologisch) Richtige zu tun, sondern auch um das Weniger, um die „Kunst des Unterlassens“. „Als sie die Orientierung verloren, verdoppelten sie ihre Marsch­geschwindig­keit“ – diese Aussage Mark Twains vor mehr als hundert Jahren ist heute wohl aktueller denn je. Es geht also um die Ziele, um die Frage, welchen Wohlstand wir wollen, welcher Wohlstand uns gut tut, und insbesondere, wel­cher Wohlstand verallgemeinerungsfähig ist für die Weltge­sellschaft des 21. Jahrhunderts. Nachhaltigkeit stellt dabei das übergreifende Leitbild dar, eine Wirtschaft im Dienste der Menschen unter Beachtung der Grenzen der Natur die materielle Basis.

Hier finden Sie nähere Informationen zu meinem aktuell erschienenen Buch „Neuer Wohlstand. Leben und Wirtschaften auf einem begrenzten Planeten.“

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