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Postwachstumsunternehmen als Akteure des Wandels – Interview mit Fritz Hinterberger (SERI)

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ioew_RatteWelche Rolle kann und sollte kleinen und mittleren Unternehmen in den Wandelprozessen zur Postwachstumsgesellschaft zukommen? Wie sehen geeignete Unternehmensstrategien für eine nicht wachsende Wirtschaft aus? Ergeben sich aus den Transformationsprozessen gar neue Geschäftsmodelle? Im Rahmen des vom IÖW und der BTU Cottbus durchgeführten Projekts „Postwachstumspioniere – Kommunikationsprojekt zur Erweiterung des Postwachstumsdiskurses um die Rolle mittelständischer Unternehmen“ geben verschiedene postwachstumsorientierte Unternehmen Antwort auf diese Fragen. Wir setzen unsere Reihe fort mit einem Interview mit Fritz Hinterberger, Geschäftsführer der SERI Nachhhaltigkeitsforschungs- und Kommunikations GmbH.

Die SERI Nachhhaltigkeitsforschungs- und Kommunikations GmbH besteht seit 2004 und gehört dem 1999 gegründeten europaweiten Think-Tank Sustainable Europe Research Institute (SERI) an, der die Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung für europäische Gesellschaften erforscht. Seit der Gründung des Unternehmens arbeiten alle Mitarbeiter/innen in Teilzeit. Das Unternehmen ist ein Gemeinwohlunternehmen und erhebt eine eigene Gemeinwohl-Bilanz.

Gerrit von Jorck: Wachstum wird in der öffentlichen Debatte noch immer häufig mit Wohlstand gleichgesetzt. Zuletzt im Europawahlkampf plakatierte die SPD „Für ein Europa des Wachstums“. Welche Bedeutung hat Wachstum Ihrer Meinung nach für unsere Gesellschaft?

Fritz Hinterberger: „Wachstum“ hat vor allem einen rhetorischen Wert. Nicht die Politik schafft Wachstum sondern die Wirtschaft: wir alle, die wir konsumieren, produzieren, erwerbs-arbeiten etc. Die Faktoren, die das Wirtschaftswachstum über die letzten Jahrzehnte angetrieben haben, wirken aber heute nicht mehr: nicht nur sind natürliche Ressourcen knapp, sondern auch die Erwerbs-Bevölkerung schrumpft, staatliche Wachstumsprogramme stoßen an die Grenzen der Finanzierbarkeit und der Wachstumstreiber Export ist darauf angewiesen, dass andere immer mehr importieren und sich dabei verschulden. Wir sollten uns einfach damit anfreunden, dass die Wirtschaft nicht mehr so wachsen wird, wie vor allem die Älteren unter uns das gewöhnt sind.

Gerrit von Jorck: Auch Unternehmenserfolg wird häufig an Wachstum – an wachsenden Umsätzen, Mitarbeiterzahlen, Gewinnen usw. – gemessen. Was macht für Sie ein erfolgreiches Unternehmen aus und welche Rolle spielt unternehmerisches Wachstum dabei? Und: Wie definieren Sie Wachstum auf Unternehmensebene?

Fritz Hinterberger: Hier müssen wir unterscheiden zwischen Kapitalmarkt-orientierten Unternehmen und Unternehmen, die ihr Kapital selbst auftreiben, also Eigenkapital bilden. Für ein Unternehmen wie SERI, das vor allem seine Arbeit verkauft, definiert sich Größe vor allem an der Zahl der MitarbeiterInnen. Mehr MitarbeiterInnen können mehr Umsatz erwirtschaften – müssen das aber auch, sonst schreibt das Unternehmen Verluste. Natürlich können wir versuchen, pro MitarbeiterIn mehr Umsatz zu machen, aber das erhöht nicht nur unser Einkommen, sondern insbesondere die Arbeitsintensität und damit den Stress. Für uns gibt es keinen vernünftigen Grund zu wachsen, eher eine optimale Größe.

Gerrit von Jorck: Es gibt verschiedene unternehmensinterne und unternehmensexterne Gründe, ein Unternehmen „wachstumsneutral“ aufzustellen, also die Unternehmensgröße nicht weiter zu steigern und/ oder die sozialen und ökologischen Wirkungen unternehmerischen Handelns immer weiter zu verbessern. Was hat Sie dazu bewogen, Ihr Unternehmen wachstumsneutral aufzustellen? Was gilt es für Sie dabei zu begrenzen oder zu reduzieren – was soll gleichwohl gesteigert werden?

Fritz Hinterberger: Das Unternehmensziel unseres Unternehmens ist es in erster Linie, die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft voranzubringen und damit gut bezahlte Dauerarbeitsplätze zu schaffen in einem Bereich, der ansonsten stark durch prekäre Arbeitsverhältnisse geprägt ist. Die optimale Unternehmensgröße ergibt sich dabei aus der Anzahl derer, die sich gemeinsam dieses Ziel gesetzt haben. Dabei scheint es optimale Unternehmensgrößen auch aus organisatorischen Gründen zu geben. Übersteigt die Zahl der MitarbeiterInnen etwa ein Dutzend, braucht man organisatorische Strukturen und damit Kapital, das sich zunächst gar nicht „rechnet“. Wir mussten uns also entscheiden zwischen klein und mittelgroß – jenseits der 30 MitarbeiterInnen. Und haben uns letztlich dafür entschieden, „klein“ zu bleiben und uns defacto in mehrere Institute aufgeteilt.

Gerrit von Jorck: Ihr Unternehmen ist in einer am Wachstum orientierten Gesellschaft tätig und steht im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die weiterhin an ihren Wachstumsstrategien festhalten. Wie (gut) gelingt es Ihnen, Ihr Unternehmen in diesem Umfeld so aufzustellen, dass es unabhängig von einer Orientierung am Wachstum wirtschaften kann? Inwiefern trägt Ihre Crowd-Investment-Strategie dazu bei und welche Erfahrungen haben Sie damit bisher gemacht? Welche Hürden mussten Sie nehmen und welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft für Ihr Unternehmen?

Fritz Hinterberger: Ich habe nicht den Eindruck, dass es für uns wichtig ist, wie groß andere Unternehmen sind. Das sind Entscheidungen, die letztlich jedes Unternehmen für sich selbst treffen muss. Und auch im Zusammenhang mit seinen Kapitalgebern. Insofern versprechen wir unseren Kapitalgebern gar kein Wachstum – höchstens neue Projekte, die wir mit ihrer Hilfe finanzieren können, z.B. eine neue Nachrichtenagentur für Nachhaltigkeitsfragen oder unser Wissen verstärkt ins Internet zu tragen, eine virtuelle Hochschule der Nachhaltigkeit zu gründen. Natürlich müssen wir die Zinsen, die wir unseren Kapitalgebern versprechen, mit unseren Projekten erwirtschaften. Das ist aber nicht das Problem und im Vergleich zur Gehaltssumme ein verschwindend kleiner Betrag.

Gerrit von Jorck: Ein Unternehmen, das sich wachstumskritisch positioniert, stößt sicherlich auf geteilte Reaktionen. Wie gehen Sie in der Öffentlichkeit mit Ihrer Unternehmensstrategie um? Wie reagieren Ihre Geschäftspartner/innen und Kund/innen darauf, dass Sie sich wachstumsneutral aufgestellt haben? Halten Sie es für wichtig, dass Postwachstumsorientierungen von Unternehmen breit kommuniziert werden?

Fritz Hinterberger: Ehrlich gesagt, werden wir selten danach gefragt. Wenn doch, stößt es auf positive Reaktionen. Und ja, natürlich ist es wichtig zu kommunizieren, dass Unternehmen nicht wachsen müssen und dass wir selbst ein gutes Beispiel dafür sind. Nach meiner Beobachtung steht bei den meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht das Wachstum im Vordergrund. Sie wollen einfach Einkommen erwirtschaften für sich und ihre Angestellten.

Gerrit von Jorck: Welchen Beitrag können kleine und mittlere Unternehmen Ihrer Meinung nach auf dem Weg in eine sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft leisten? Glauben Sie, dass Ihre Unternehmensstrategie dabei auch auf andere Unternehmen übertragbar wäre? Wünschen Sie sich Unterstützung oder weitere Freiheiten z.B. von der Politik? Haben Sie konkrete Forderungen?

Fritz Hinterberger: Zunächst geht es einfach darum, die Vorteile, die die Politik gerade in den letzten Jahrzehnten für große kapitalmarktorientierte Unternehmen geschaffen hat, abzubauen. Diese bestimmen in Deutschland, in Europa und weltweit das Geschehen. Und viele Regulierungen, gerade vonseiten der EU, aber auch DIN-Normen, benachteiligen kleine, weil sie für alle gelten, von den großen aber leichter zu erfüllen sind und weniger auf die Preise durchschlagen. Da wären Ausnahmen für KMUs sinnvoll. Schließlich geht es um die Erleichterung der Eigenkapitalbildung von KMUs und eine Verschärfung der Steuergesetze für die großen, sozusagen eine progressive Besteuerung von Unternehmen.

Das Interview fand am 26.08.2014 im Rahmen des IÖW-Projekts Postwachtumspioniere statt.

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