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Teilnehmer der Sommerakademie diskutieren Chancen und Herausforderungen des „Unternehmen Postwachstum“

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Politische Veränderungen erfordern. frei nach dem Politikwissenschaftler John Kingdon, Aufmerksamkeit sowie Unterstützung durch Regierung und Lobbygruppen – und immer auch konkret formulierte Handlungsmöglichkeiten. Die Postwachstumsgesellschaft mag zuletzt in immer breiteren Kreisen diskutiert worden sein; für erste Schritte auf diesem Weg bestehen allerdings noch Wissenslücken, was die konkrete Umsetzbarkeit angeht.

Gerade die Frage nach den Herausforderungen und Chancen für Unternehmen in einer Gesellschaft, die nicht mehr nur auf Wirtschaftswachstum setzt, ist bisher nur unzureichend beantwortet. Diese Antworten sind allerdings essentiell für die Etablierung von Postwachstum als positiver Leitidee, da dies nur auf Basis umfangreicher Untersuchungen aller Aspekte erfolgen wird.
Um dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen, trafen sich vom 20. bis 24. August 2012 die 27 Teilnehmer der Sommerakademie 2012 „Unternehmen Postwachstum“.

Die Veranstaltung wurde durch das studentische Netzwerk für Wirtschaftsethik sneep und die Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung VÖW organsiert. In naturnaher und entspannter Atmosphäre des Karl-Renner-Hauses der Naturfreunde in Berlin-Lichterfelde bot die Sommerakademie Platz für interessante Vorträge, viele spannende Diskussionen und der gemeinsamen Vertiefung in das Thema.

In den ersten Tagen führten die eingeladenen Referenten die Teilnehmer in das Themenfeld Postwachstum ein. Während Angelika Zahrnt und Reinhard Pfriem Hintergrundwissen über die Nachhaltigkeitsdebatte boten, ging André Reichel verstärkt auf die Wachstumsgrenzen für Unternehmen ein. Christian Kimmich vom Netzwerk WANG (Wissenschaftliche Arbeitsgruppe Nachhaltiges Geld) klärte über die makroökonomischen Wachstumszwänge des heutigen Geldsystems auf. Durch Ulf Schrader erfolgte eine Einführung in das Themenfeld Nachhaltigkeit und Konsum. Und schließlich konnten die Teilnehmer durch die Firma „Märkisches Landbrot“ und ihren Referenten Jürgen Baumann einen Einblick in ein Unternehmen gewinnen, dessen ausdrückliches Ziel nicht Wachstum um jeden Preis, sondern ein positiver Mehrwert für die Gesellschaft ist. Baumann fasste mit der Aussage „Das Brot ist der Chef“ die Prioritäten im Unternehmen einprägsam zusammen.

Auf Basis dieser Einführungen wurden anschließend in drei Gruppen die konkreten Dimensionen einer Postwachstumsgesellschaft in Politik, Unternehmen und Konsumverhalten diskutiert. Die Gruppen setzten sich selbst das Ziel, weniger Zeit mit der Produktion von Systemwissen zu verbringen und dafür verstärkt offene Fragen und Ansätze in den Blick zu nehmen. Grundlage dafür bot das Leitbild transdisziplinärer Wissenschaften. Dieses umfasst neben der Beschreibung heutiger Zustände (Systemwissen) auch die Erforschung von Optionen für die Zukunft (Zielwissen) und das Herausarbeiten von möglichen Pfaden in diese Zukunft (Transformationswissen). Die Ergebnisse der Gruppenarbeiten wurden zum Abschluss der Sommerakademie am 24. August bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Heinrich-Böll-Stiftung präsentiert.

Ergebnisse der Gruppenarbeit

Im Folgenden sollen die wichtigsten Punkte der drei Gruppen zusammengefasst werden.

Die Gruppe 1 (moderiert durch Hans Haake) erarbeitete die Rahmenbedingungen, die durch die Politik auf dem Weg in eine Postwachstumsgesellschaft umgesetzt werden müssen. Innerhalb der verschiedenen Politikfelder konzentrierte sich die Gruppe auf die Bereiche Arbeit und Soziales sowie auf die Fragen nach den Verfügungsrechten über Ressourcen und Senken.

Dabei wies sie insbesondere auf die nötige Abkehr von der Vollzeit-Arbeitskultur hin, die durch die Politik unterstützt werden sollte. So könnte zum Beispiel eine doppelt-progressive Besteuerung der Einkommen und (gestaffelt ab 20 Stunden) der Arbeitszeit zu einer gesamtgesellschaftlichen Reduktion und Umverteilung der Arbeit führen. Das sei einerseits aus Gründen der Reduktion der materiellen Produktions- und Verbrauchsmuster nötig, schafft andererseits für den Einzelnen aber auch Freiräumen für stärker subsistente Lebensstile.

Besonderer Diskussionsbedarf bestand bei der Frage, welchen Beitrag die Politik leisten kann, damit bestehende Eigentumsformen sich stärker am Gemeinwohl orientieren. Das Modell der Lizenzenvergabe, die an strenge Richtlinien zur Verwendung von Ressourcen und Senken gekoppelt ist, fand viel Unterstützung, konnte in der Kürze der Zeit aber nur grob skizziert werden. Dissens herrschte am Ende vor allem in der Frage, wie stark die Politik in Anbetracht der ökologischen Krise eingreifen darf und ob dabei auch Enteignungen möglich sein sollten.

Die Gruppe 2 (moderiert durch Alexandra Palzkill-Vorbeck) konzentrierte sich auf die Rolle der Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft. Dabei stand vor allem die Transformation bestehender Unternehmen zur Debatte und weniger die hypothetische Neugründung besonders postwachstums-geeigneter Unternehmen.

Das Leitbild eines Unternehmens in der Postwachstumsgesellschaft wurde durch die Gruppe folgendermaßen zusammengefasst: {Ein Postwachstumsunternehmen ist… } „ein Unternehmen, welches in seinen ökologischen Grenzen für die Gesamtgesellschaft mehrwertstiftende Leistungen erbringt. Dies erfolgt über ein partnerschaftliches Austauschverhältnis mit den involvierten und direkt engagierten Akteuren und dabei wird proaktiv gewährleistet, dass keine negativen systemischen Konsequenzen entstehen.“

An diesem Leitbild ist besonders hervorzuheben, dass die ökologischen und sozialen Leitplanken für unternehmerisches Handeln zukünftig in den Vordergrund treten. Die Leistungen eines Unternehmens umfassen nicht mehr allein die wertfreie Produktion von Gütern und Dienstleistungen, sondern sollten vor allem dem Gedanken der Bedürfnisbefriedigung folgen, die mit weniger Materialintensivität erfolgen kann. Auch das Verhältnis zwischen Unternehmen als Organisation und den Individuen, die sich an der Produktion von „gesellschaftlichen Mehrwert“ beteiligen, wird erweitert. Das geschieht mit der Absicht, den Stellenwert des subsistenzorientierten Prosumenten (d.h. der um die Co-Produktion erweiterten Konsumentenrolle) in einer Postwachstumsökonomie anzuerkennen und zu stärken.

Anhand des Leitbildes wird auch deutlich, dass die Umrisse von dem, was bisher als „Unternehmen“ verstanden wurde, in der Postwachstumsphase verschwimmen können. Unternehmen verwandeln sich in Organisationen, deren Ziel die möglichst effiziente Herstellung von gesellschaftlichem Wohlstand ist.

Die Gruppe 3 (moderiert durch Melanie Lukas) schließlich beschäftigte sich mit den Formen von Konsum, die in der Postwachstumsgesellschaft notwendig und tragbar sind. Außerdem stand die Frage im Raum, welche Rolle Konsumenten auf dem Weg in diese Gesellschaft einnehmen können

Dabei kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass unterschiedlichen sozialen Milieus je nach Einstellung und materiellem Wohlstand, verschiedene Strategien der Bedürfnisbefriedigung offen stehen. Die Teilnehmer unterschieden zwischen drei möglichen Pfaden. Grüner Konsum erfüllt dabei in etwa dieselben Funktionen wie der konventionelle Konsum, versucht aber auf ressourcenschonende und fair hergestellte Produkte zu setzen. Individuen aus sozialen Milieus, die sich dazu materiell in der Lage sehen, steht der Weg als Prosument offen, der einen Teil des bisherigen Konsums (und damit der Arbeitszeit) durch Eigenproduktion (Subsistenz) und Gemeinschaftsnutzung ersetzt. Außerdem können sich diese Schichten auch durch eine Suffizienzstrategie von wohlstandsschmälernder Optionsvielfalt und materiellem Überfluss befreien.

Neben diesen Konsumstrategien versuchte die Gruppe auch dem Befund gerecht zu werden, dass Konsum heute, neben der materiellen Bedürfnisbefriedigung, auch der Sinnstiftung und der Statusabsicherung dient und sich mittels Konsum persönliche Werte und Anschauungen kommunizieren lassen. Weil eine Postwachstumsgesellschaft ohne eine Reduzierung der materiellen Intensität des Konsums nicht denkbar ist, sollte deshalb erforscht werden, wie diesen immateriellen Anforderungen trotzdem Rechnung getragen werden kann. In Betracht kommen hier zum Beispiel eine stärkere Sinnstiftung durch Arbeit und Ehrenamt sowie die Selbstverwirklichung durch (politische) Mitbestimmung und -wirkung im sozialen und räumlichen Umfeld.

Zusammenfassung

Auch wenn viele Aspekte, die während der Sommerakademie besprochen wurden, innerhalb der Abschlusspräsentation in der Heinrich-Böll-Stiftung nur angedeutet werden konnten, machte spätestens die anschließende Diskussion mit den Zuhörern deutlich, wie vielfältig und wichtig ein umfassendes Bild von Postwachstumsunternehmen ist. Sich über grundlegende Vorstellungen zu einigen, ist ein langwieriger, aber lohnenswerter Prozess. Stellvertretend zeugt davon die leidenschaftliche Debatte der Teilnehmer um die These, dass Postwachstum keinesfalls mit Nicht-Wachstum gleichgesetzt werden kann. Es setzte sich schließlich die Einsicht durch, dass vor allem die Anerkennung und Einhaltung ökologischer und sozialer Leitplanken maßgeblich für die Postwachstumsgesellschaft ist. Den Unternehmen eröffnen sich durch die Umstellung auch neue Chancen, zu denen die Entwicklung resilienter (gegenüber äußeren Einflüssen widerstandsfähigerer) Geschäftsmodelle und die Umstellung des Unternehmensziels auf die Schaffung gemeinwohlstärkender Leistungen gehören.

Das kann bedeuten, dass uns Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft in Formen begegnen werden, die von heutigen Maßstäben stark abweichen können. Wer hätte schon vor einer Dekade gedacht, dass wir heute unseren Wissensdurst durch einen Blick in ein gemeinschaftlich erstelltes, stiftungsfinanziertes Online-Lexikon namens „Wikipedia“ stillen, statt durch den Griff nach dem kommerziell hergestellten Brockhaus? Wir unterschätzen systematisch, was sich in einer so kurzen Zeitspanne verändern kann. Vor diesem Hintergrund hat der Blick auf das „Unternehmen Postwachstum“ nicht nur den Teilnehmern der Sommerakademie neue Perspektiven eröffnet, sondern sollte zukünftig auch in der Forschung eine größere Rolle spielen.

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