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Transformationspfade mit je eigenen Stärken und Schwächen – keine Königswege

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Bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Jeder der zuvor dargestellten Wege in eine Postwachstumsgesellschaft – „Parallelgesellschaften“ (A), „Trans-Formation von Institutionen“ (B), „Reallabore“ (C) – hat seine spezifischen transformativen Potenziale und blinden Stellen, die sich produktiv ergänzen bzw. ausgleichen können. Keiner ist in der Lage, alle Akteure anzusprechen und zu motivieren. Kritikwürdig ist eher die Tendenz, die eigene Position zu verabsolutieren und andere Sichtweisen pauschal abzuwerten. Das möchte ich an wenigen Punkten illustrieren.

Subkulturell abgekapselt?

Die Stärke von Position A sehe ich unter anderem darin, dass sie einem Bedürfnis vor allem jüngerer AktivistInnen entspricht, in einem überschaubaren Zeitraum und Bereich einen sichtbaren Beitrag zu einem für notwendig erachteten, auch theoretisch begründbaren Wandel zu leisten und dies auf eine (zumeist gemeinschaftliche, basisdemokratisch organisierte) Weise, die zugleich anderen Werten entspricht. Dabei kann es sich um eine biographische Durchgangsstufe handeln – ebenso wie Position B und C – in der Selbstwirksamkeit und andere politisch wichtige Erfahrungen gewonnen werden, die eben auch eine persönliche Dynamik hin zu anderen Sichtweisen auslösen können. Und es können Fähigkeiten erworben werden, die auch für andere Formen von Politik, Widerstand, Konflikt relevant sein können.

Neben solchen akteursbezogenen Potenzialen sind auch andere Impulse und Effekte wichtig: neue Formen kollektiver Entscheidungsfindung, des Zugangs zu/ Austauschs von Gütern, von lokaler Eigenversorgung etc. können erfunden, erprobt, am eigenen Leibe erfahren und als Argument gegen Alternativlosigkeit in politische Debatten oder auch in Regierungspolitik eingebracht werden.

Vor allem aber können von solchen Initiativen und Gemeinschaften wichtige Impulse für einen kulturellen Wandel ausgehen. Sind wahlrelevante kritische Massen von Minderheiten erreicht und schließen sich dem auch größere Verbände an, so erhöht dies den Druck auf die offizielle Politik, mit institutionellen Reformen zu reagieren und verringert das Risiko für Parteien, entsprechende Themen aufzugreifen.

Die Gefahr, dass sich werte- und überzeugungsbasierte Gemeinschaften subkulturell abkapseln ist real, aber nicht zwangsläufig. Ebenso können sie sich öffnen, in ihr Umfeld ausstrahlen, sich an politischen Aktivitäten beteiligen und in sich ein gewisses Spektrum unterschiedlicher Lebensstile akzeptieren (z.B. Ökodorf Sieben Linden).

Zutreffend ist auch der kritische Hinweis, dass die in Alternativ-Milieus entwickelten Innovationen entgegen den Intentionen ihrer Erfinder systemkonform, Wachstum befördernd „transformiert“ werden können, wie dies bei Formen der sharing-economy zu sehen ist. Dieses Risiko ist aber kaum vermeidbar und gilt auch für andere transformative Strategien. Ob z.B. die als nicht-reformistische Reform gedachte Intervention tatsächlich System verändernd wirkt, lässt sich oft erst im historischen Nachhinein beurteilen.

Dass es sich um ein Minderheitenprogramm handelt ist richtig, sofern damit AutorInnen und Akteure gemeint sind. Daraus kann aber nicht umstandslos gefolgert werden, dass es sich auch um ein Programm nur für Minderheiten, etwa akademisch gebildete Mittelschichten, handelt. Dieser Vorwurf bedürfte des Nachweises und wäre nur dann berechtigt, wenn das kritisierte Konzept mit universellem Anspruch auftritt. Ansonsten wäre der (Pauschal-)Vorwurf eher ein Fall (unbeabsichtigter) Stigmatisierung (z.B. als „zeitgeistige Mittelschichtsbewegung“), somit einer jener Mechanismen, vermittels derer sich die Ungleichheitsverhältnisse gegen transformative Allianzen immunisieren.

Politische Reform vs. Kämpfe?

Für die in Position B hervorgehobene Bedeutung des gezielten Wandels bestehender Institutionen und etablierter politisch-institutioneller Großakteure (Parteien, Gewerkschaften, Verbände, Verwaltungen etc.) gibt es triftige Gründe, die von Wachstumskritikern unterschiedlicher Positionen (Jackson 2011, Seidl/ Zahrnt 2010, Sarkar 2009) betont werden: Zumindest für den Übergang in eine Ökonomie und Gesellschaft ohne Wachstumszwang seien aktive Institutionen und vor allem Regierungen unverzichtbar, die politische Strategien für den umfassenden Wandel entwickeln und ihn anstoßen (Jackson 2011). Weil der Wachstumszwang auf vielfältige Weise strukturell verankert sei, müssten seine Ursachen durch strukturelle Reformen angegangen werden. Ein kompletter System-Umbau, die Abschaffung der alten Institutionen wäre eine Gefahr für die zivilisierte Ordnung. Besser sei eine mühsame Umgestaltung der Gesellschaft über viele kleine Schritte (Jackson 2011). Entscheidendes in Richtung Reduktion könnten dem neoliberal vermarktlichten Wirtschaftssystem nur von außen politisch aufgezwungen werden, ebenso systemische Effizienzen (Thie 2013) etwa durch „suffiziente“ Infrastrukturen. Der Wirtschaft politisch vorgegebene und langfristig zuverlässige Rahmendaten (Schön 2013) können den Widerstand gegen politisch induzierten Strukturwandel reduzieren.

Institutionelle Reformen durch „viele kleine neue Gesellschaftsverträge“ (Biesecker et al. 2013) können die Ergebnisse von Innovationen, die auf Druck von unten, durch Kämpfe, veränderte Kräfteverhältnisse oder Experimente ermöglicht wurden, institutionell befestigen, somit für eine Zeit lang festschreiben. Zugleich können dadurch wiederum günstigere Bedingungen für sozialen oder kulturellen Wandel von unten entstehen. So können suffizienzorientierte strukturelle Reformen wesentlicher Bedingungen für Mobilität, Wohnen, Ernährung etc. die Diffusion nachhaltiger Lebensstile befördern.

Abstrakte, je eine Seite abwertende, Gegenüberstellungen der Transformationsfähigkeit durch Druck, Kämpfe, kulturellen Wandel „von unten“ mit jener durch politische Reformen etc. „von oben“ sind unfruchtbar. Das Verhältnis ist eher komplementär; beides sind gangbare Wege zu einer Postwachstumsgesellschaft oder zu transformationsfähigen Institutionen. Entscheidend ist, wie den beteiligten Akteuren ein solches Zusammenspiel beider Momente gelingt, das die jeweiligen Stärken zur Geltung bringt. Die Frage, wovon der intendierte Wandel jeweils stärker befördert werden kann, ist nur mit Blick auf die konkrete Situation sinnvoll zu stellen.1


1 So wäre die allgemeine Frage, ob die Anti-AKW-Bewegung oder das EEG stärker zum Atomausstieg beigetragen haben, wohl kaum sinnvoll zu beantworten.

Literatur

Jackson, Tim (2011): Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, München.

Sarkar, Saral (2009): Die Krisen des Kapitalismus. Eine andere Studie der politischen Ökonomie, Köln/Mainz.

Schön, Max (2013): Schluss mit Ping-Pong, in: Politische Ökologie 133, S. 81-85.

Seidl, Irmi/Zahrnt, Angelika 2010 (Hg.): Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, Marburg.

Thie, Hans (2013): Rotes Grün. Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft, Hamburg.

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