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Vorteile Nachhaltiger Mobilität

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Eine Gesellschaft, deren Institutionen nicht auf das Wirtschaftswachstum angewiesen sind, ist eine Gesellschaft, die in vielen Bereichen anders ist als die unsere. Mobilität ist einer dieser Bereiche, die sich wandeln müssen. Winfried Kretschmann äußerte in einem Interview, dass nachhaltige Mobilität mit weniger Autos auskommen wird. Dafür bekam er viel Kritik. Doch die KritikerInnen übersehen, wie attraktiv das von den Autos befreite Leben sein würde und in welche Zwänge uns der motorisierte Individualverkehr bereits gesteckt hat!

Nahhaltige Mobilität hat viele Gewinner und nur weniger Verlierer:

  • Fußgänger und Radfahrer stärken die lokale Wirtschaft mit mehr Beschäftigten und vielseitigen Arbeitsmöglichkeiten
  • In den von abgestellten Fahrzeugen befreiten öffentlichen Räumen (wie beispielsweise in Klagenfurt oder in Schlanders/Südtirol) entwickeln sich vielseitige soziale und wirtschaftliche Aktivitäten. Man kann sie überall nachweisen, wo diese Maßnahmen gut umgesetzt wurden.
  • Die öffentliche Sicherheit nimmt zu, weil der öffentliche Raum zum Umfeld offen und damit auch sozial kontrolliert wird. Offene Fenster statt Lärmschutzverglasung!
  • Der Zuzug von Jungfamilien mit Kindern in autofreie Bereiche beweist deren Attraktivität (Beispiel Vauban in Freiburg im Breisgau aber auch in anderen Städten).
  • Der öffentliche Verkehr hat wieder Steigerungsraten, von denen er Jahrzehnte lang nur träumen konnte und entlastet damit die Kommunalbudgets.
  • Durch autofreie attraktive Innenräume sinkt der Bedarf für Fahrten nach außen: Die „Donauinsel in Wien“ zieht beispielsweise bis zu 300.000 Erholungssuchende an schönen Tagen an.
  • Wo CO2-Emittenten abgestellt waren und andere Mobilitätsformen behinderten, erzeugen Bäume Sauerstoff, reinigen die Luft und verbessern das Kleinklima und – auch Stadtkinder können wieder die Erfahrung machen, wie es ist, auf einen Baum zu klettern.
  • Statt eingezäunten Spielghettos haben die Kinder Freiräume im Umfeld der Wohnung zur eigenen Gestaltung ihrer Freizeit und sichere gemeinsame Wege zur Schule.

Strukturen verändern das Verhalten, vor allem gebaute Strukturen. Das kann man an den praktischen Ergebnissen nachhaltiger Verkehrskonzepte, die umgesetzt wurden, nachweisen. In Wien nimmt der Autobesitz seit 2002 ständig ab, obwohl die Bevölkerung das höchste durchschnittliche Einkommen aller Bundesländer hat – eine Folge der Umsetzung des Verkehrskonzeptes 1981. Die Zahl der Parkplätze wurde im öffentlichen Raum – in Abstimmung mit der Wirtschaft – wesentlich reduziert – und die Menschen ziehen wieder in die Stadt. Jeder Parkplatz weniger ist ein Gewinn für jede Kommune und damit für jede menschliche Gemeinschaft. Heute – nicht nur in Wien – schon üblich, vor 35 Jahren noch unvorstellbar.

Gleichzeitig wird der Begriff „nachhaltige Mobilität“ von unserer Gesellschaft, insbesondere aber durch die Medien und auch die Politik beherrschenden Lobbys, im Interesse weiterer lukrativer Geschäfte in nahezu jede Richtung manipuliert bzw. missbraucht. Elektromobilität soll, weil ja das Autofahren durch elektrischen Strom insbesondere durch Solarenergie ersetzt werden soll, die weitere kaum eingeschränkte Benutzung des Autos ermöglichen. An den gebauten Strukturen soll sich nichts ändern, diese sind tabu. Die Lösung werde von der Technik kommen, verspricht man uns. Es wird ausgeblendet, dass die Probleme, die die Zukunft der Menschheit bedrohen, durch unbesonnene Anwendung der Technik in den vergangenen 200 Jahren, beeinflusst durch eine naturwissenschaftliche Verengung des Weltbildes, entstanden sind. Verkehrsmittel haben die Strukturen grundlegend verändert, die Eisenbahnen vor allem die Industrie, das Auto den Rest. Danach entstandene Strukturen sind vom ständigen Zufluss fossiler Energie abhängig und daher ebenso wenig nachhaltig wie die Mobilitätsform, aus der sie entstanden sind. Wendet man die elementaren Kriterien sozialer, ökologischer, ökonomischer und kultureller Nachhaltigkeit auf die heutige Form der Mobilität an, dann scheidet das Auto – gleichgültig mit welcher Energieform es angetrieben wird – grundsätzlich aus.

  • Aus sozialen Gründen, weil es die Menschen voneinander isoliert und die für eine nachhaltige Gesellschaft notwendigen sozialen Bindungen zerschneidet.
  • Aus ökologischen Gründen, weil sein ökologischer Fußabdruck die Tragfähigkeit des Planeten überschreiten, wenn es nicht auf jene Zwecke reduziert wird für die es eigentlich konzipiert ist, als Bewegungsprothese für Gehbehinderte und als Transportmittel für jene Lasten, die nicht von Transporträdern bewältigt werden können. Sein Anteil gemessen am heutigen Autobestand liegt bei weniger als 5 %.
  • Aus ökonomischen Gründen, weil bei Zurechnung aller Kosten und Folgekosten sein Einsatz auf die vorherig genannten Zwecke reduziert werden müsste.

Dass der solare Fußgänger als Mobilitätsform nachhaltig ist, wurde im Laufe der Menschheitsgeschichte bewiesen, weil er die Menschen zwang, sich in Dörfern und Städten zu sozialisieren, eine Kultur zu entwickeln, im Gleichgewicht mit der Natur zu leben. Auch der Radverkehr hat zu keiner Strukturveränderung geführt, die die Nachhaltigkeit des Lebens in absehbarer Zeit gefährden würde.

Öffentlicher Verkehr ist schon um eine Zehnerpotenz beim Flächen- und Energiebedarf schlechter. Jedoch ist dieser sozial verträglich, wenn er nicht zur massiven Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten und der Machtstrukturen missbraucht wird. Je höher die Geschwindigkeiten technischer Systeme werden, umso geringer ist deren Nachhaltigkeit.

Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Hermann Knoflacher

  • Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik
  • 1990 Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (Bundesministerium für Wissenschaft und Kunst Österreich)
  • Mitglied des editorial board der Zeitschriften: NATUR UND KULTUR, GAIA und Oekobiotikum

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